Birgit
Ahrensburger Schloss 2023
Ich habe mein ganzes Leben in Norddeutschland verbracht und ich liebe meine Heimat. Das Wasser, Möwengeschrei, die Geräusche im Hafen, den Strand an der Ostsee. Aber das Highlight ist, mit absolutem Abstand, der Fischmarkt und Krabbenbrötchen. Naja, bis es im Süden keine Franzbrötchen gab, auch die.
Ich wuchs in Ahrensburg auf und früher sagte ich immer, direkt neben dem Schloss. Denn da bin ich geboren, zu Hause bei meinen Großeltern. Ich war stolz darauf beinahe Prinzessin geworden zu sein, süße Kindheitsvorstellungen.
Am meisten erinnere ich mich an Spiele in der Natur. Nach einem warmen Regenschauer in den Pfützen zu spielen, kleine Stöcke waren die Boote, die den Abhang hinuntersausten. Man konnte mit Steinen Wege bauen, sie umleiten, sie stoppen.
oder im dunkeln in den Büschen Mutter und Kind zu spielen. Im Sommer pflückte ich jeden Tag Blumen für meine Großmutter, meine Mutter arbeitete in Hamburg, es gab mindestens 10 verschiedene Sorten auf einer Wiese vor der Kirche. Doch das Highlight war auf dem “ Weinberg”, so hieß unsere Straße, zu sitzen und mit meiner Freundin Autonummern aufzuschreiben. Die B27 ging direkt zwischen den Schloss und unserer Straße, Am Weinberg, entlang. Stundenlang, tagelang, ja den ganzen Sommer saßen wir da und schrieben Hefte voll. Wir hatten ein Heft in dem wir nachlesen konnten, woher die Autos kamen. Unsere Träume fuhren mit den Autos davon, entweder Richtung Ostsee oder Richtung Hamburg, in die weite Welt. Meine Welt war klein, doch sie war absolut perfekt.
Eine Erinnerung an die Zeit war, dass Geld nicht im Überfluss da war. Mein Großvater war Elektriker und arbeite in Hamburg im “Hotel Vier Jahreszeiten”. Ich war wahnsinnig stolz auf ihn. Bein uns kam damals immer ein kleiner Bus mit Lebensmitteln. Brötchen, Eier, gute Butter und vieles mehr. Doch es gab viele Morgen an denen wir alles nach Pfennigstücken absuchten um uns ein Brötchen zu kaufen. Alle Schalen und Ecken wurden durchsucht ob nicht doch etwas Geld zu finden war. Ich erinnere mich aber auch daran, es immer geschafft zu haben. Unser Frühstücksbrötchen wurde dann mit Butter bestrichen, darauf kamen Tomaten, Zwiebeln, Bananen und Mayonaise.
Doch dann waren da auch noch die Großeltern väterlicherseits. Meine Großmutter floh mit ihren beiden Kindern aus Ostpreußen. Mein Großvater war im Krieg und sie musste alleine diesen Weg bewältigen. Sie erzählte einmal, dass sie unterwegs Zuckerrüben von den den Feldern geklaut hätten und daraus versuchten einen Eintopf zu kochen oder auch Zuckerrübensirup. Ich esse bis heute noch gerne den dunklen, klebrigen Sirup, der immer vom Brot läuft, egal wie gerade man es hält. Meine Großmutter flüchtete nach Norddeutschland und bekam eine Wohnung, in einem neu erbautem Haus, in Ahrensburg. Mein Großvater saß später oft vor dem Haus, die Gartenanlage war noch nicht angelegt, aber er war still. Sehr still. Es war eine kleine Wohnung, mit einem Kohleofen, aber für mich war sie ein Ort der Ruhe und Geborgenheit.
Im Keller gab es einen Waschraum, in dem stand ein großer Bottich aus Kupfer, glaube ich, der beheizt werden konnte. Für mich war es immer aufregend wenn Waschtag war. Keine Ahnung warum. Aufregend war auch etwas was man heute nicht mehr aussprechen darf. Die Wäsche wurde draußen auf der Leine getrocknet, doch von Zeit zu Zeit hieß es, holt schnell die Wäsche rein, die “Zigeuner” kommen. Ich vermute das die Leinen ab und zu leer waren, doch genau weiß ich es nicht. Alle Türen wurden verschlossen bis irgendwann die Luft wieder rein war. Ich wusste nur, es sind Menschen aus einem anderen Land, mehr gab es in meinem damaligen Wissen nicht.
Doch was ich noch genau erinnere waren die Situationen am morgen. Mein Großvater musste um 5 Uhr aufstehen, um zur Arbeit zu fahren, und da ich im Wohnzimmer auf dem Sofa schlief, wurde ich natürlich wach. Meine Großmutter kochte Kaffee und er bekam Honigbrot. Jeden Morgen. Doch das tolle war, ich auch. Ich habe es geliebt mit ihm zu frühstücken. Heute zeigt es mir, dass Kinder mit kleinen Dingen zufrieden sind, um sich sicher zu fühlen. Was man als Kind braucht sind Begebenheiten, Situationen, Ereignisse die sich immer wiederholen. Die gleichen Spiele draußen, ähnliche Abläufe im Alltag und bei mir in meinem Gedächniss sind die Mahlzeiten geblieben. Noch heute vermisse ich die selbst eingelegten Heringe, die Rouladen, ihr Gulasch und als Nachtisch, gekochter Vanillepudding mit Erdbeeren. Das ging über Jahrzehnte so und auch, als ich selbst schon Kinder hatte, durften sie diese Fürsorge erfahren.
Noch einmal “Gulasch von Oma” ist immer noch ein Satz in unseren Köpfen.
Als sechs war zogen wir nach Hamburg. Es war anders, neu groß, etwas beängstigend. Doch auch aufregend, viele neue Eindrücke, Möglichkeiten, Freiheiten. Ich füllte mich nie fremd in der großen Stadt und wenn ich darüber nachdenke, habe ich es auch nie vermisst. Es war ein Kapitel meines Lebens und betraf die ersten sechs Jahre.
Doch das schönste war, ich bekam eine Schwester. Sie war vom ersten Tag an meine größte Freude und mein liebstes Spielzeug. Meine Mutter war nicht zimperlich und ich durfte mein Spiel, Mutter/Kind in perfekter Form weiter spielen.
Dann war da noch die Schule, naja. Ich war ein ängstliches Kind und die großen Gebäude, der Lärm, Autoritätspersonen machten mir Angst. Wenn man Angst hat kann man keine Leistung bringen, der Kopf ist blockiert. In jedem Zeugnis, über Jahre hinweg wirklich in jedem, stand: Birgit muss sich mehr beteiligen. Naja, ich schaffte trotzdem meine 10 Schuljahre und war heilfroh als das vorbei war.
Ein Geschäft in Ahrensburg in dem es alles gibt. Früher auch Fahrräder.
Dann kam die große Entscheidung, wie geht es weiter. Zu Hause war nicht alles toll. Meine Eltern waren schon lange geschieden und meine Mutter wieder verheiratet. Und damit kam ich nicht gut zurecht. In meinem Inneren hatte ich entschieden, ich möchte ausziehen. Von der Schule aus machte ich ein Praktikum im Krankenhaus Altona. Ich war immer noch ruhig, aber ich machte einen guten Job. Ich wurde gelobt. Ein neues gutes und unbekanntes Gefühl. Meine Entscheidung war gefallen, ich werde dort eine Ausbildung machen.
Doch diese Gedanken entsprachen nicht dem was ich eigentlich gerne gemacht hätte. Mein Traum wäre es gewesen viele Sprachen zu lernen und die Welt kennenzulernen. Erst viel später merkte ich, dass dies doch die richtige Entscheidung war. Mein Job machte mir Spaß.
1971 Über diese Schwelle wurde ich einmal getragen, ich hatte Gänseblümchen unter die Haube gesteckt und war glücklich. Leider schaute die Oberin gerade aus dem Fenster und ich bekam eine Standpauke zu hören